Erdogans Sommerpalast und der Orientexpress
Eine etwas andere Geschichte einer Großmutter
Wenn man jung ist, interessiert man sich meist nicht genug für die Vergangenheit der eigenen Familie. Und wenn das Interesse im Alter steigt, sind „die Alten“ nicht mehr da!
Um so schöner, dass meine liebe Cousine Sybil (Billie) aus Hamburg als letzte mir verbliebene Verbindung zur Vergangenheit noch da ist!
Und dass sie ihre wunderbare Lebensgeschichte in ihrem Buch „Hoffen auf das Bessere“ festgehalten hat. In dem natürlich auch die Geschichte unserer gemeinsamen Großeltern vorkommt.
Sonst hätte ich wohl nie erfahren, welch üppiges Hochzeitsgeschenk unsere Großmutter von ihrem Stiefvater bekommen hat.
Unsere Großmutter, Anna della Sudda, wuchs in einem Vorort von Konstantinopel (heute Istanbul) auf. Kadiköy ist eine ruhige Wohngegend im asiatischen Teil von Istanbul.
Sie verliebte sich in meinen Großvater Rudolf und zog zu ihm nach Wien.
Ihre Kinder waren (alle verstorben): Mein Vater Ludwig, Sybils Vater Carl, Hubertus und Anne-Rose (beide kinderlos).
Zitat aus Sybils Buch:
Es war noch nicht die Zeit der Flugzeuge und Automobile, deshalb bekam sie zur Hochzeit einen Salonwagen geschenkt, vollständig eingerichtet mit Schlafzimmer, kleiner Küche, Raum für die Kammerzofe. Er wurde an den Orientexpress gehängt, wenn sie einen Besuch in Konstantinopel machen wollte, und wartete auf sie, bis sie wieder nach Wien zurückreisen wollte.
„Das war aber üppig“, sagte ich (Cousine Sybil zur Großmutter Anna), als sie mir davon erzählte.
„Ach“, antwortete sie, „meine Vettern in Russland hatten einen Bahnhof und eine ganze Eisenbahnlinie.“
Vor kurzem kam im ZDF eine Terra-X-Dokumentation über eben diesen Orientexpress. Ich konnte noch einmal sehen, in welchem Luxus meine Großmutter gelebt hatte! Und ich erfuhr, dass es im immer noch bestehenden Endbahnhof Sirkédji (nahe des Topkapipalastes) in Istanbul ein Orientexpress-Museum gibt. Und es wurde ein Interview mit der Leiterin Ruhan Çelebi gezeigt.
Was lag da näher, als ihr eine Email zu schreiben und sie zu fragen, ob sie in ihren Unterlagen etwas mehr über meine Großmutter herausfinden könnte.
Ich nannte ihr den Namen meiner Großmutter, Anna Gräfin Schönfeld (damals noch ohne T), geborene della Sudda. Ihr Vater war bereits mit 33 Jahren gestorben und ihre Mutter heiratete ein zweites Mal, Josef Maria Huber. Er wurde mir von Billie als „steinreichen Industriellen und sehr liebevollen Stiefvater“ beschrieben. Auf meine Frage, was sie über ihn wisse, sagte Billie: „Nix!“
Es kam eine Mail der Museumsleiterin aus Istanbul zurück, sie zeigte sich sehr interessiert an der Story, konnte mir aber keine weiteren Details nennen. Es gäbe aber ein paar Luxuswaggons in ihrem Openair-Museum zu besichtigen. Und dass sie den Namen „Huber“ natürlich kenne, es gäbe ja den „Huber-Kiosk“ am Bosporus, die Sommerresidenz des türkischen Präsidenten.
Na, das war doch mal ein Anfang!
Externer Link: Hier findet man eine Luftaufnahme des Palastes. Oder bei GOOGLE unter Huber Köşkü.
Also fing ich an zu googeln. Ja, den Huber-Kiosk gibt es, in einem Vorort nördlich von Istanbul. Es ist aber weniger ein Kiosk in unserem Sprachgebrauch; es ist schon ein schmucker Sommersitz. Er war zur in Frage kommenden Zeit von einem gewissen „Auguste Huber“ und seiner Familie gebaut worden.
Weiter fand ich auf einer Website: „Die Villa wurde von den Geschwistern Huber gebaut, die unter anderem die Vertretung für Mauser-Gewehre und der Krupp-Stahlwerke für die Türkei (also eher Osmanisches Reich) übernommen hatten.“
Aber Josef Maria, der Vorname des Stiefvaters meiner Großmutter, kam nicht vor. Waren es also die „richtigen“ Hubers?
Also weiter googeln. Selbst im Marco Polo Reiseführer Istanbul kommt die Villa vor. Der Name des Vorortes Tarabya leitet sich vom griechischen Therapie ab. Die Sommerfrische der Reichen und Schönen. Feines Häuschen, nettes Klima – noch Fragen?
Und dann war plötzlich eine weitere Seite da, die schrieb (auf Englisch): „…gebaut für deutsche Waffenhändler (Krupp und Mauser) , Joseph und Baron Auguste Huber, Brüder aus einer aristokratischen und wohlhabenden Familie.“
Da war er! Joseph! Ich zweifelte aber immer noch…
Mir fiel ein, dass ich doch irgendwo die Heiratsurkunde meiner Großeltern einmal gesehen hatte. Und solche Urkunden liebevoll in einem Ordner gesammelt habe. Also: Ordner raus!
Endlich hat sich Ordnung einmal gelohnt! Ich fand die Heiratsurkunde, gänzlich auf Latein verfasst. Egal.
„… 6. Mai 1897 …. Rodulphum filium Caroli (Carl) Comitis (Graf) de Schoenfeld ex Austria et Annam filiam (Tochter) Josephi Huber, … notis testibus (Trauzeugen): …, Augusto Huber, …“
Da stand es! Auguste war Trauzeuge seines Bruders Joseph Maria!
Und was ist heute mit dem „Huber-Kiosk“?
Er ist die Sommerresidenz des türkischen Präsidenten Erdogan. Eine Website schreibt:
„Luxuriöse Suiten wurden für die Kinder und Enkelkinder von Recep Tayyip Erdo?an in der Huber-Villa gebaut, die als Präsidentenpalast genutzt wird.
In den Suiten, die den Kindern und Enkeln von Erdogan im Herrenhaus Huber zugewiesen sind, gibt es alle Arten von Komfort.“
Hier ein Bild Erdogans mit seinen Enkeln und Enkelinnen im Park des Palastes.
Mit bei der Heiratsurkunde fand ich noch einen Zeitungsausschnitt von 1897, der die pompöse Abreise des jungen Paares aus Konstantinopel, vom Bahnhof Sirkédji aus, schildert. Ihren ersten Wohnsitz hatten sie dann in Leoben, in der Steiermark.
„Menschenauflauf gestern Abend am Bahnhof von Sirkédji bei der Abfahrt des Grafen und der Comtesse von Schönfeld. Unter den weiteren Persönlichkeiten:
der Prinz von Liechtenstein, Onkel des Bräutigams; Hr. de Eroees, Herr Vékil, der italienische Konsularjustiziar und Frau Callerio, usw.
Wunderbare Blümensträuße mit seltenen Blumen wurden der Comtesse von Schönfeld überreicht.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien begaben sich die frisch Vermählten zu ihrem Wohnsitz in der Steiermark.“
Es ist doch immer wieder schön und überraschend, in der Vergangenheit herumzustochern! Auch wenn wir das schöne „Häuschen“ leider nicht mehr nutzen können!
Jetzt bin ich nur noch auf der Suche nach Fotos der Großeltern vor dem Waggon. Mal sehen, was sich ergibt!
Rudi